6,5 Millionen Lohnsklaven in Deutschland
hotgun, Samstag, 7. Juni 2008, 13:02
schweizmagazin.ch

Die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren signifikant erhöht und liegt mittlerweile bei 22,2 Prozent (2000: 17,5 Prozent). Rund 6,5 Mio. Menschen sind demnach Niedriglohnbezieher, wie aktuelle Daten des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) zeigen. Während der Anteil der Geringverdienenden zugenommen hat, ist der durchschnittliche Stundenlohn am Niedriglohnsektor gesunken. Verglichen mit anderen kontinental-europäischen Ländern weist Deutschland damit den größten Niedriglohnanteil auf.

“Wir sehen, dass die Niedriglohnbeschäftigung auch in den vergangenen Jahren trotz des Wirtschaftsaufschwunges zugenommen hat”, sagt IAQ-Direktor Gerhard Bosch. Zurückgeführt wird dies unter anderem auf die Ausweitung der Leiharbeit und das Wachstum der Minijobs, zudem würden immer mehr Tätigkeiten in Unternehmen ausgelagert, in denen tarifvertragliche Standards fehlen oder nicht eingehalten werden. Auch für 2008 sieht Bosch keine Umkehr dieses Trends. Zwar finde eine Lohnerhöhung in tariflich abgedeckten Arbeitsmarktbereichen statt, in anderen Bereichen würden die Löhne jedoch weiter zurückgehen, wodurch die Schere noch größer werde. “Es gibt eine zunehmende Ungleichheit in der Einkommensstruktur, wobei der größere Teil nach unten verschoben wird”, so Bosch.

Die Daten der Studie zeigen die Entwicklung des Niedriglohnsektors zwischen 1995 und 2006 auf. Verglichen mit den kontinental-europäischen Ländern Dänemark, Frankreich und Niederlande weist Deutschland gemessen an den Werten von 2006 demnach bereits den höchsten Niedriglohnanteil auf und liegt auch über dem Wert von Großbritannien (21,7 Prozent). Zudem nähert sich der Anteil in Deutschland langsam jenem der USA an, wo der Niedriglohnanteil bei 25 Prozent liegt. Allein zwischen 2004 und 2006 nahm die Niedriglohnbeschäftigung um zehn Prozent zu. Deutschland weise zudem die höchste Wachstumsrate der vergangenen Jahre sowie einen hohen Wert an qualifizierten Niedriglohnbeschäftigten auf. Demnach haben rund drei Viertel aller Niedriglohnbezieher eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen akademischen Abschluss.

Darüber hinaus betrifft der Anstieg von Niedriglöhnen aber laut der Erhebung alle Beschäftigungsformen. Vor allem in den Beschäftigungsgruppen der Minijobber, Jüngeren, gering Qualifizierten, Ausländern und Frauen zeichnet sich ein hoher Anteil gering entlohnter Personen ab. Im Vergleich zwischen Männern und Frauen stellen letztere knapp 70 Prozent aller Niedriglohnbezieher dar. 2006 lag die Niedriglohnschwelle in Deutschland bei 9,13 Euro pro Stunde. Deutliche Unterschiede hinsichtlich dieser Grenze zeigen sich jedoch bei einer differenzierten Berechnung zwischen Westdeutschland (9,61 Euro) und Ostdeutschland (6,81 Euro). Dies deute darauf hin, dass der Anstieg der Niedriglohnbeschäftigung zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Löhne nach unten führe, so die Studienautoren.

Ein Weg, um dem Wachstum des Niedriglohnsektors entgegenzusteuern, sei die Kombination aus der Einführung eines Mindestlohnes mit allgemein verbindlichen Tarifverträgen, erläutert Bosch. “Der Mindestlohn hat die Funktion, den unteren Rand der Einkommensgrenze abzusichern. Er ist aber nicht ausreichend, um auch das Einkommen für qualifizierte Leute im mittleren Bereich zu sichern.” Rund 1,9 Mio. Beschäftigte würden heute in Deutschland weniger als fünf Euro pro Stunde verdienen, so Bosch. Zudem müssten die Leiharbeit sowie die Arbeitsbedingungen für Minijobs neu geregelt werden. Letztere wären das Einfallstor für den Niedriglohn, rund 80 Prozent der Minijobber würden gering entlohnt werden.

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