Das Veto der Iren
hotgun, Sonntag, 15. Juni 2008, 19:08
von Gerd Flegelskamp
Den Iren sei Dank für ihre Veto gegen den EU-Vertrag. Ein Ire, vom Fernsehen interviewt, brachte es auf den Punkt mit den Worten:

Ich bin nicht gegen Europa. Aber ich bin für ein Europa der Millionen, nicht für ein Europa der Millionäre.

In der Presse werden bereits die Stimmen der Politiker laut, den Vertrag dennoch in Kraft zu setzen, mit den verschiedensten Optionen, wie Irland dabei zu behandeln sei. Interessant sind einige Pressestimmen des In- und Auslandes in Bezug auf das Veto. Diese Vorgehensweise der Politiker vor allem in Deutschland und Frankreich sollte eigentlich jedem Befürworter des EU-Vertrages bzw. der EU-Verfassung zu denken geben. Aber die bereits gemachten Äußerungen beweisen einmal mehr die Gesinnung, die hinter diesem Vertrag steckt. Keine Spur von Demokratie, sondern nackte und pure Diktatur.
Die Verträge der EG mussten alle einstimmig von allen Mitgliedsländern angenommen werden. Nun könnte eingewendet werden, dass Demokratie ja ein System des Mehrheitsprinzips sei. Aber die Frage über die Abstimmung der Verträge für die Europäische Gemeinschaft (EG, der eigentliche Vertragsgegenstand) ist etwas völlig anderes. In diesen Verträgen werden von den Mitgliedsländern Hoheitsrechte an die EG abgetreten, mit gravierenden Auswirkungen für jedes Land, denn damit wird die existentielle Staatlichkeit eines jeden Landes unterhöhlt. Als Beispiel sei der EURO genannt. Weil bereits im Vorfeld absolut feststand, dass nicht alle Staaten bereit waren, das Heft für die Steuerung der Finanzhoheit aus der Hand zu geben, wurde ein zusätzliches Konstrukt gebildet, die so genannte Währungsunion. Alle Staaten, die dieser Währungsunion beitraten, haben damit die Möglichkeit ihres Landes, auf währungspolitische Schwankungen zu reagieren, aus der Hand gegeben.

Gleiches gilt auf dem Gebiet der Rechtshoheit. Jedes Land hat seine Verfassung und seine Rechtsgliederung. Danach ist der oberste Garant der Rechte für alle Länder die jeweilige Verfassung, in Deutschland durch das Grundgesetz (auf Zeit) ersetzt. Dahinter kommen dann die unterschiedlichen Rechtsgebiete wie Strafrecht, Familienrecht, Steuerrecht usw. usf. Mit der EU wurde eine zusätzliche Rechtsform eingeführt, das so genannte Gemeinschaftsrecht. Das ist eigentlich eine logische Folgerung daraus, dass mit dem Beschluss, in Fragen bestimmter wirtschaftlicher Bereiche mit anderen Staaten eine Gemeinschaft zu bilden, für diese Gemeinschaft auch Regeln aufgestellt werden müssen. Es begann 1952 mit der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), auch unter der Bezeichnung “Montanunion” bekannt (Pariser Vertrag). Weil die für diese Gemeinschaft aufgestellten Regeln auch eingehalten werden sollten, wurden sie in Gesetze gefasst und ein spezieller europäischer Gerichtshof (EuGH) gegründet, der für das die Montanunion betreffende Regelwerk zuständig sein sollte.

Dahinter stand eine völlig andere Absicht, als aus den öffentlichen Verlautbarungen erkennbar wurde. Bereits damals war es die Absicht, einen Europäischen Staat zu gründen. Der nächste Schritt sollte eine europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) sein. Dabei muss man die damalige Situation beachten. Deutschland war noch ein Trümmerhaufen. Der Hass der benachbarten Länder, genauer der Bevölkerungen dieser Länder auf die Deutschen war groß, was ich nicht verwunderlich finde. Deutschland war auch nicht mehr Deutschland, sondern in zwei Teile zerschlagen worden. Ausgangspunkt waren die Besatzungsmächte, bestehend aus Amerikanern, Briten und Franzosen als so genannte westliche Alliierte und die UDSSR als der östliche Teil der Alliierten. Die mit der Kapitulation der Deutschen und damit dem Ende des Krieges verbundene Zeit der Eintracht aller Alliierten war durch die unterschiedlichen Positionen der Amerikaner (Kapitalismus) und der UDSSR (Bolschewismus) sehr schnell wieder verschwunden und hatte bald den so genannten kalten Krieg zur Folge. Deutschland, nach der Kapitulation seiner Rechte beraubt, wurde in Blöcke aufgeteilt. Die DDR und die BRD entstanden. Aber auch die Franzosen hatten mit dem Saarland ein Stück des Kuchens abgebissen. Das Gebiet des Saarlandes war schon länger ein Zankapfel zwischen Preußen und Frankreich gewesen. Es wurde zum Protektorat der Franzosen.

Das war noch nicht alles. Die Amerikaner waren auch in Korea aktiv und hatten dort ziemliche Schwierigkeiten. Um die Russen in Schach zu halten, waren sie deshalb an der Militärmacht Europa interessiert, natürlich unter ihrer Führung. Dafür war bereits 1949 die NATO gegründet worden. In ihrem Kalkül war auch die erneute Militarisierung Deutschlands enthalten, allerdings nicht als eigenständiges System, sondern den westlichen Alliierten unter der Führung der NATO unterstellt. Allerdings machten die Franzosen einen Rückzieher aus Angst vor einem Wiedererstarken des Deutschen Militärs. Aus diesem Grunde wurde die EVG nicht verwirklicht.

Mit den römischen Verträgen wurde dann 1957 die europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die europäische Atomgemeinschaft (später in EURATOM umbenannt) gegründet und für die Rechtsauslegung war auch für diese Konstrukte der EuGH zuständig. Offenbar hatten aber die Bilderberger, die diesen Vertrag ausgearbeitet haben, dabei das Gemeinschaftsrecht mit der Zuständigkeit des EuGH über das nationale Recht der Mitgliedsstaaten gestellt.

Ich möchte dieses Vorgehen einmal aus meiner Sicht darlegen. Ich gründe einen Verein mit wirtschaftlichen Interessen. Wie üblich erstelle ich Regeln (Gesetze), wie dieser Verein vorgehen darf und soll. Ohne es den Vereinsmitgliedern darzulegen, verfasse ich dabei Regeln, mit welchen die Rechte der Vereinsmitglieder eingeschränkt werden, wenn es um wirtschaftliche Belange des Vereins geht. Dazu setze ich ein Schiedsgericht ein, besetze es mit Leuten, von denen ich weiß, dass sie voll auf meiner Seite stehen und unterbinde das Recht der Mitglieder, den Verein wieder zu verlassen. Von nun an bestimmt das Schiedsgericht, ob ein Mitglied selbständig handeln kann, oder ob sein Handeln den Vereinsregeln unterliegt und eigenständiges Handeln deshalb nicht erlaubt ist. Würden Sie Mitglied in diesem Verein sein wollen?

Natürlich werden Kritiker nun sagen, das sei nicht vergleichbar. Ich sehe das anders. Wenn die Bürokraten der EU, meist unter tätiger Mithilfe vieler Lobbyisten, Regeln aufstellen und verabschieden, dann gehen diese Regeln den nationalen Regeln vor, auch wenn sie für eine Nation denkbar ungünstig sind. Sie müssen dann in die nationalen Regelwerke eingebaut werden. Dabei war es bisher so, dass der europäische Rat (Ministerrat) und die Kommission der EU in vielen Fällen ohne Zustimmung des europäischen Parlaments beschließen konnten. Das Parlament musste lediglich angehört werden, in manchen Fällen nicht einmal das. Die verlinkten Beschreibungen sind hier die Selbstdarstellung der EU. Die Realität sieht in weiten Teilen wesentlich schlimmer aus. So hat das EU-Parlament keine gesetzgeberischen Rechte (Initiativrecht), auch nicht nach dem neuen EU-Vertrag.

Bei strittigen Fragen, ob gesetzgeberische Maßnahmen der Staaten rechtens sind, entscheidet der EuGH in letzter Instanz, ob die Gesetze das Gemeinschaftsrecht verletzen oder nicht. Gleiches gilt für Urteile, die von den obersten Gerichten der Länder gefällt werden. Bevor ein oberstes Gericht eine Grundsatzentscheidung fällt, muss es in einem Vorabentscheidungsverfahren mit dem EuGH abklären, ob es seine Entscheidung in der vorgelegten Form fällen darf oder ob mit der Entscheidung Gemeinschaftsrecht betroffen ist und die Entscheidung deshalb anders getroffen werden muss. Und da bin ich wieder bei meinem Vereinsbeispiel. Die Mitglieder können nicht mehr frei entscheiden, denn das Schiedsgericht schreibt vor, ob und wann das Mitglied im Einzelfall noch eigene Rechte hat.

Kommen wir nun zum EU-Vertrag. Dort ist viel zu lesen über die Rechte der Bürger, über ihre sozialen Belange. Aber nirgends sind diese Rechte konkret definiert. Über reine Absichtserklärungen geht das Vertragswerk nicht hinaus: Anders ist das mit den Aussagen über die wirtschaftlichen Beziehungen, den Freihandel und die Finanzbestimmungen. Hier wird konkret formuliert, was die Mitgliedsstaaten dürfen und was nicht.

Das EU-Parlament bekommt mehr Mitbestimmungsrechte. Insoweit stimmen die Aussagen. Gerne wird aber verschwiegen, dass auch die Rechte des europäischen Rats und der Kommission ausgeweitet werden. Das gesamte Vertragswerk besteht eigentlich aus zwei Verträgen, dem Vertrag der Europäischen Union (EUV) und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). So kann der europäische Rat Änderungen von vielen Vertragsbestandteilen des AEUV beschließen und muss dazu nicht einmal das EU-Parlament fragen. Der Vertrag will einen Außenminister etablieren. In der EU heißt er dann allerdings nicht Außenminister, sondern “Hoher Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik”. Obwohl das nicht besonders deutlich wird, dieser hohe Vertreter (???) wird demnächst auch die Außenpolitik der Mitgliedsstaaten dominieren. Jedes an die EU abgetretene Recht schränkt die Rechte der gewählten Parlamente der Mitgliedsstaaten ein. Die mit pro EU-Vertrag agierenden Politiker behaupten dann gerne, dass ihnen der Vertrag Rechte nach dem Subsidiaritätsprinzip zugesteht, sie also Einspruch gegen Beschlüsse aus der EU erheben können. Das ist sogar richtig. Doch in den meisten Fällen haben sie für die Einreichung einer ausformulierten Beschwerde dann 8 Wochen Zeit. Wer unsere Politiker kennt, weiß, dass sie in dieser Zeit noch nicht einmal Einigkeit über den Ausschuss erreicht haben, der die Beschwerde formulieren soll. Gelingt es ihnen aber wirklich, rechtzeitig ihre Beschwerde vorzubringen, dann entscheidet der EuGH und der hat in bisher über 50 Jahren noch nicht ein einziges Machwerk der EU für nichtig erklärt. Anders gesagt, das Subsidiaritätsprinzip ist ein Placebo, weiter nichts. Die gewählten Abgeordneten werden zu Erfüllungsgehilfen (der Arbeit nach Beamte) der EU, aus meiner Sicht zu teure Erfüllungsgehilfen. Die maßgeblichen Impulse kommen aus den einzelnen Ministerräten und der Kommission und hier wird eine weitere Variante des Vertrages sichtbar. Für den europäischen Rat galt in den meisten Fällen bisher das Einstimmigkeitsprinzip. Was bedeutet das? Ein in Bearbeitung befindliches Projekt soll beispielsweise in Form einer Richtlinie verabschiedet werden. Aber einer der 27 Minister aus 27 Nationen findet, dass diese Richtlinie für sein Land denkbar schlecht wäre. Er stimmt also dagegen (Beispiel Bolkestein Richtlinie). Natürlich werden die anderen ihn umstimmen wollen, z. B. in Form einer indirekten Bestechung, indem sie ihm etwas anderes anbieten, was er gerne verwirklicht sehen möchte. Aber wenn er hart bleibt, ist das Vorhaben vom Tisch. Es kann nicht verwirklicht werden, weil einer der Minister dagegen stimmt. Nach dem Vertrag kann dann der Ministerrat festlegen, künftig das Mehrheitsprinzip anzuwenden. Stimmt dann also eine Mehrheit für ein Vorhaben, geht es durch, auch wenn einer dagegen stimmt.

Damit kommen wir zum EU-Parlament. Künftig hat es bei mehr Verfahren ein Mitbestimmungsrecht, allerdings nicht bei Sicherheitsfragen und nicht bei Fragen der Außenpolitik des so genannten hohen Herrn (soweit mir bekannt ist, soll Joschka Fischer für diesen Posten im Gespräch sein, was auch seine Teilnahme an der letzten Bilderberg-Konferenz erklären würde). Doch was bedeutet das erweiterte Mitbestimmungsrecht des Parlaments für Sie oder für mich? Sicher, ich kann die Abgeordneten ins Parlament wählen. HALT, das stimmt doch nicht. Ich kann nur für 12,5% der Abgeordneten votieren. Aber das EU-Parlament hat (noch) 785 Abgeordnete. Was bringt uns auf die Idee, dass die restlichen 686 Abgeordneten im Interesse der Deutschen abstimmen, oder im Interesse der Franzosen, der Iren, der Briten, der Niederländer, der …?

Halten wir fest: Der EU Vertrag verspricht Demokratie, Menschenrechte, soziales Engagement und einiges mehr. Aber es bleibt bei Versprechungen. Konkret wird er nur bei den Versprechungen für die Wirtschaft, den Freihandel und die internationalen Vorhaben und seiner Treue zur NATO. Mit dem Vertrag werden weitere Hoheitsrechte an die EU abgetreten. Bedenkt man, dass nach Aussagen des Justizministeriums in den letzten Jahren bereits 86% aller Gesetze aus der EU kommen und betrachtet man die Auswirkungen, die das hatte, dann muss eigentlich jedem klar werden, dass wir auf eine Diktatur zusteuern, soweit wir nicht ohnehin schon davon erfasst sind. Je mehr EU wir bekommen haben, umso mehr haben sich Armut und Arbeitslosigkeit in unserem Land ausgeweitet und verfestigt. Je mehr EU wir bekommen haben, umso mehr sind die Preise gestiegen und umso weniger Einfluss konnte der Finanzminister auf das Währungsgeschehen nehmen (Euro = Teuro). Die Versprechungen in Sachen Arbeitsrecht, Armutsbekämpfung, Bildung, Renten usw. waren bereits in den vergangenen Verträgen verankert. Realisiert wurde nichts. Was realisiert wurde, waren Bestimmungen für die Wirtschaft, mit denen eine Menge rein für Deutschland arbeitende Unternehmen in den Ruin getrieben wurden. Gerne wird von allen Seiten (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Presse) das hohe Lohnniveau Deutschlands angesprochen. Dass dieses Lohnniveau einhergeht mit dem Preisniveau, wird gerne verschwiegen. Wir werden auf die Unterschiede zu den Löhnen in Polen, der Slowakei oder anderen Regionen hingewiesen, nicht aber auf die Lebenshaltungskosten in diesen Ländern. Hätte unser Finanzminister noch die Währungshoheit, könnten wir die Währung abwerten und wären wieder gleichauf mit den Währungen der anderen Länder. Aber darüber berichtet keine Presse, davon redet kein Politiker und kein von der Politik zur Beratung herangezogener Wissenschaftler.

Ich bin den Iren dankbar, denn dieses Europa, so wie es zusammengeschustert wurde, ist nichts als ein weiterer Baustein einer machtversessenen Finanzmafia, repräsentiert von Rockefeller und Kissinger, eine Finanzmafia, deren Ziel die Weltherrschaft ist, wie Rockefeller 1991 unverblümt eingestand. Es ist ein Europa, in welchem die Macht von immer weniger Leuten ausgeübt wird. Wer immer noch zweifelt, dass es nicht die pompösen Worte sind, die dieses Europa ausmachen, sondern das, was an realer Politik praktiziert wird, der sollte sich die Präambel des Vertrages ansehen. Ich greife mal 2 Punkte heraus:

* IN BESTÄTIGUNG ihres Bekenntnisses zu den Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsstaatlichkeit,

Wie ist es um die Punkte Freiheit bei uns bestellt? Wie demokratisch handeln unsere Politiker (z. B. bei der Ratifizierung des Vertrages)? Welche Achtung erweisen sie den Menschenrechten der Rentner, der Arbeitslosen im eigenen Land? Wo finde ich hierzulande noch Rechtsstaatlichkeit?

* IN BESTÄTIGUNG der Bedeutung, die sie den sozialen Grundrechten beimessen, wie sie in der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Europäischen Sozialcharta und in der Unionscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 festgelegt sind

Betrachten Sie einmal die Bedeutung der sozialen Grundrechte im Verhältnis ihrer Auslegung durch die Politik und betrachten Sie die Grundrechte der Arbeitnehmer lt. Unionscharta und die praktizierte Politik in diesem Land.

Was diesen Vertrag wirklich ausmacht sind Versprechungen, die nicht einklagbar sind, erhebliche Demokratiedefizite aller Institutionen, Formulierungen, an denen solange herum gefeilt wurde, dass sie wohltuend klingen, aber vor Gerichten keinen Bestand haben. Es kommt nicht auf die Worte eines Vertrages an, sondern auf das, was Richter aus diesen Worten machen können, Richter, die nicht demokratisch gewählt wurden, nicht der Gewaltenteilung unterliegen. Es sind willfährige Richter am EuGH, Richter, die seit über 50 Jahren die Verträge der EG so auslegen, wie es die Macher wollen.

Noch eine andere Stimme zu dem Veto der Iren:

Erklärung des Sekretariats der Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung.

Danke, Irland!

Das ist kein schwarzer Freitag für Europa, es ist ein schwarzer Freitag für ein Politikmodell, das die Demokratie mit Füßen tritt.

Um diese Uhrzeit (16:34h) liegt in der großen Mehrheit der Wahlbezirke das Nein vorn. Der irische Justizminister und der Europaminister sprechen bereits von einer Niederlage. Laut Pressemeldungen haben vor allem ländliche Bezirke und solche mit hohem Arbeiteranteil mit Nein gestimmt.

Damit hat die irische Bevölkerung das ausgedrückt, was die Bevölkerungen in den meisten anderen Staaten auch gesagt hätten, hätten sie über den Lissabon-Vertrag abstimmen dürfen. Sie alle haben durch die Iren eine Stimme bekommen, welche die EU ihnen verweigern wollte.

Der Mangel an Demokratie war offenbar einer der Hauptgründe für die irische NEIN. Nach dem Nein aus Frankreich und den Niederlanden zum Verfassungsvertrag hätte die EU die Chance gehabt, in einen wirklichen Dialog mit der Bevölkerung zu treten und ihre Anliegen zu hören. Das aber war nicht gewollt. Im Gegenteil: Der Vertrag von Lissabon bleibt hinter der Verfassung vieler Mitgliedstaaten zurück und setzt diese de facto außer Kraft, ohne die für solche Verfassungsänderungen erforderlichen Mehrheiten. Für 90% aller Rechtsnormen sollte das weitaus undemokratischere EU-Recht als das höherrangige gelten. Was das praktisch bedeutet, konnten wir zuletzt am Beispiel der Entsenderichtlinie erfahren, die nationale Tariflöhne aushebelt.

Irland hat nicht NEIN zur EU gesagt, es hat NEIN zu einer undemokratischen, wirtschaftsliberalen und militarisierten EU gesagt.

Die Europäischen Märsche gegen Erwerbslosigkeit, ungeschützte Beschäftigung und Ausgrenzung werben seit langem dafür, dass wir diesem Modell der EU ein anderes Modell entgegen setzen: das eines demokratischen, auf dem Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerungen seiner Mitgliedstaaten beruhenden, gegenüber den Völkern des Südens offenen, friedlichen und sozialen Europa.

Mit dem NEIN der Iren ist alles wieder offen: Es ist an der Zeit, europaweit dafür einzutreten, dass in allen Mitgliedstaaten eine offene Debatte über das Europa, das wir wollen, geführt wird. Dokumente, die das Zusammenleben in Europa grundsätzlich regeln, müssen einem Referendum unterzogen werden! In diese Debatte werden wir die Charta der Grundsätze für ein anderes Europa einbringen, die die Europäischen Märsche zusammen mit anderen Organisationen und Netzwerken im Rahmen des Europäischen Sozialforums erarbeitet haben.

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